Interview mit Hermann Scheer
Interview mit EUROSOLAR-Präsident Hermann Scheer

Hermann Scheer (1944-2010) und Julian Aicher trafen sich immer mal wieder. Zuletzt im Sommer 2009 in Berlin. Das Foto zeigt Scheer bei einer Rede in der "Rotisserie" 1997 in Leutkirch-Rotis. (Das 1901 gebaute Gewölbe bot bis 1970 20-25 Kühen Platz. Danach ließen es Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher 1970/71 zur Kantine und zum Veranstaltungsraum umbauen.) 1995-2005 diente Julian Aicher dort als Saalwirt und lud seit 1996 mehrmals zur öffentlichen "Energie-Ernte Rotis" sowie 1996 zum "Energie-Frühling Rotis".

 

Jetzt ist die Zeit des Umstiegs“

Kraftstoffpreise auf Rekordhöhen. Kriegszustände im Öl-Land Irak. Mehr als ein Anlass für rio’s-Inhaber Julian Aicher, im Mai 2004 mit Dr. Hermann Scheer zu sprechen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete, Träger des „Alternativen Nobelpreises“, „hero of the green century“, Verfasser mehrerer Bücher und Vorsitzender des Weltrates für erneuerbare Energien, gilt als einer der wichtigsten Fürsprecher sonniger Kräfte in Deutschland.

rio’s:

Wir erleben derzeit extreme Benzin-Preiserhöhungen. Wäre es nicht doch sinnvoll, die Öko-Steuer zu senken, um die Kraftstoffpreise wenigstens ein Stück weit nach unten zu drücken?

Hermann Scheer:

Das wäre das völlig falsche Signal. Denn je mehr man sich auf den Dauer-Höchstverbrauch von Erdöl einläßt, desto gravierender kommt das dicke Ende. Und dieses dicke Ende ist inzwischen schon ungefähr voraussehbar. Denn Erdöl ist bekanntlich der fossile Energieträger, der sich am schnellsten erschöpft. Wir können maximal noch vier Jahrzehnte mit der Verfügbarkeit  von Flüssig-Erdöl rechnen. Maximal. Und insofern liegt es im Interesse aller, dass die Gesellschaft insgesamt so schnell wie möglich umsteigt auf neue Energien, auf erneuerbare Energien.

 „Wir sind in dieser Frage längst in einem Wettlauf mit der Zeit. Und der betrifft alle.“

 Wir haben dazu ja auch eine ganze Reihe von politischen Voraussetzungen getroffen. Eine Initiative von mir und einigen Kollegen hat dazu geführt, dass seit dem 1. Januar alle Bio-Kraftstoffe von der Energiesteuer befreit sind. Und zwar bis zum Jahr 2009 sogar zu 100%. Und damit werden alle Biokraftstoffe ausnahmslos billiger als die herkömmlichen Kraftstoffe. Das heißt: Jetzt ist die Zeit des Umstiegs. Kosten Sparen durch Umsteigen heißt die Devise. Für alle, die auf das Auto angewiesen sind.

 Wir sind in dieser Frage längst in einem Wettlauf mit der Zeit. Und der betrifft alle.

 rio’s:

Die gegenwärtigen Ölpreissteigerungen, die ja doch Rekordwerte aufweisen - sind die schon Vorbote der Voraussage von Experten, dass der Ölpreis spätestens ab 2007 ganz markant steil nach oben geht? Oder sind sie noch das Ergebnis des Irak-Kriegs?

 Hermann Scheer:

Nein, das hat mit dem Irak-Krieg relativ wenig zu tun. Es hat in erster Linie damit zu tun, dass der Welt-Erdölverbrauch weiter wächst - obwohl wir den Höchstpunkt der möglichen Fördermengen ja schon überschritten haben. Allein im letzten Jahr hat sich der Erdölverbrauch Chinas um 20% gesteigert. Und ein Ende dieser Entwicklung ist überhaupt nicht abzusehen. Gegenwärtig sind praktisch sämtliche Raffinerien weltweit bei voller Kapazitätsauslastung.

Das zeigt: Es gibt einen wachsenden Bedarf nicht nur durch die Entwicklung in China, sondern auch durch die drastische Steigerung des Flugverkehrs. Und demgegenüber stehen sich dem Erschöpfungszustand nähernde Erdölpotentiale.

Wer immer meint, diesen hohen Erdölverbrauch künstlich verlängern zu müssen, treibt damit unweigerlich weiter und schneller steigende Ölpreise vor.

 rio’s:

Deutschland hat im Bereich erneuerbare Energien weltweit doch sehr vorbildliche Gesetze geschaffen. Wie ist das in anderen Ländern? Sie sagten neulich beim Ersten Kongress der Solarinitiativen Deutschlands in Hammelburg, es habe in anderen Ländern schon mal Gesetzes-Initiativen gegeben. Sie halten sich sehr oft in den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Wie beurteilen Sie die politische Diskussion dort?

 „Von Reagans Energiepolitik hat sich Amerika bis heute nicht erholt.“

 Hermann Scheer:

In den Vereinigten Staaten ist - was die Bundespolitik anbetrifft - gegenwärtig lediglich auf einem Sektor ein kleines Lichtzeichen zu sehen. Das ist, dass dort der Einsatz von Bio-Äthanol im Kraftstoffsektor politisch gefördert wird. Das geht darauf zurück, dass eben auch auf die Republikanische Partei der Druck der Farmer-Verbände sehr groß ist, die eine Zukunftsperspektive für sich sehen - zu Recht. In allen anderen Gebieten ist in Amerika seit fast 25 Jahren Ebbe.

 rio’s:

Was war vorher? Wenn Sie sagen, seit 25 Jahren?

 Hermann Scheer:

Ja, in den 70er Jahren war Amerika in der politischen Orientierung auf erneuerbare Energien das weltweit führende Land. Das setzte ein mit der Ölkrise 1973 und wurde zum erklärten Programm in der Regierungszeit des Präsidenten Carter. Bis 2050 wollten die Vereinigten Staaten damals auf eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien. Aber diese Entwicklung wurde radikal abgebrochen mit dem Wechsel von Carter zu Reagan. Und davon hat sich Amerika bis heute nicht erholt.

 Was in Amerika jetzt stattfindet, ist allerdings, dass in einer ganzen Reihe Bundesstaaten und Städten - im Gegensatz zur Washingtoner Bundespolitik -  Erneurbare-Energie-Programme gestartet werden.

Das gilt für Städte wie Chicago, wie New-York, wie San Francisco und Los Angeles; aber auch für einige Staaten.

Und das kalifornische Programm ist eigentlich  genau das Gegenstück zu dem amerikanischen Bundesprogramm.

 rio’s:

Auch unter Arnold Schwarzenegger?

 Hermann Scheer (in leicht lächelndem Ton):

Ja, gerade unter ihm. Das hat viele überrascht. Er hat ja ganz offiziell als sein Regierungsziel verkündet, in seiner ersten Rede als Gouverneur, bis zum Jahr 2020 ein Drittel der gesamten kalifornischen Energieversorgung aus erneuerbare Energien zu realisieren. Insofern geht er bei dieser Zielsetzung über die offizielle Zielsetzung der rot-grünen Koalition in Deutschland sogar hinaus.

Allerdings: Die Maßnahmen, die er bisher ergriffen hat, werden nicht ausreichen, um dieses Ziel zu realisieren.

 rio’s:

In Deutschland gab es um die Novellierung des Erneuerbaren Energien-Gesetzes eine relativ heftige Debatte - mit einem Begleitkonzert in den Medien, zum Beispiel dem SPIEGEL, erkennbar gesponsert von der herkömmlichen Energie-Wirtschaft durch die Anzeigen im Heft ein paar Wochen später gut lesbar.

Wir hören zur Zeit in Deutschland eine Häufung von Reden für die Atomenergie. Bayerische Lesart: Steigerung der erneuerbaren Energien auf vielleicht ein Drittel und dann zwei Drittel Kernenergie. Wie ist das politisch zu bewerten?

 Hermann Scheer:

Ich bin sicher, dass bei einem Regierungswechsel im Jahr 2006 - würde er kommen - der Atomausstieg von Rot-Grün aufgehoben werden würde. Und dass dann wieder der Atomenergie der Weg geebnet werden soll. In welcher Weise das dann geschieht, das wissen wahrscheinlich die Beteiligten selber noch nicht. Aber ich bin sicher, dass die Entwicklung darauf abzielt. Und die Stromwirtschaft wartet darauf. Sie hat sich zwar auf den sogenannten Ausstiegs-Konsens eingelassen, aber sie wartet darauf, dass sie von dieser ‘Fessel’ - wie sie es empfindet - befreit wird. Und sie setzt darauf. Das zeigen zahllose Reden von Vorstandsvorsitzenden, die deutlich machen, dass sie keineswegs das Ziel der weiteren Atomenergie-Nutzung aufgegeben haben.

 rio’s:

Auch in Baden-Württemberg bei der EnBW? Bei Claasen?

 Hermann Scheer:

Bei der „Energie Baden-Württemberg“ kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich gegen einen solchen Kurs stellen würde, angesichts ihres Anteilseigners EdF.

 rio’s:

Die Umfragewerte in jüngster Zeit zeigen: Die Bevölkerung in Deutschland steht trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten - die angeblich zum Teil auf die Förderung der erneuerbaren Energien zurückgehen - sehr stark zur Sonnenenergie. Vor allem bei jüngeren Befragten ist der Unterstützungsgrad für Windenergie zum Beispiel noch immer sehr hoch. Auch die bekundetete Bereitschaft, in solche Energien zu investieren, liest sich beeindruckend. Was müssen denn diejenigen tun, die sich bisher schon für sonnige Energien und ihre Töchter Wind, Wasser, Pflanzenwachstum eingesetzt haben, damit die sonnige Stimmung der Bevölkerung für die Solarenergien bestehen bleibt?

 Hermann Scheer:

Die Stimmung für die erneuerbaren Energien ist ja nach wie vor positiv. Das soll man sich nicht ausreden lassen.

Das einzige, was immer wieder stattfindet, ist gezielte Verunsicherung der Leute in ihrer Sympathie. Und diese Verunsicherungen zielen immer auf die vermeintlich untragbaren Kosten oder auf die vermeintlich ästhetische Landschaftsverschmutzung - zum Beispiel durch Windkraftanlagen - oder auf mangelndes Potential erneuerbarer Energien ab.

Die Sonnenenergie-Potentiale liegen ja bekanntlich 15.000 mal höher, als die Erträge aus Kohle, Erdöl und Atomenerige. Und dagegen wird von Seiten der bisherigen Energiewirtschaft schlicht und einfach immer wieder behauptet, dass die erneuerbaren Energien nicht ausreichen würden, die herkömmliche Energieversorgung verzichtbar zu machen. Ich nenne diese Behauptung in meinem Buch „Solare Weltwirtschaft“  den „Mythos der Energiewirtschaft“. Er besteht darin, sich für unverzichtbar zu erklären durch Denunzierung der Möglichkeiten erneurbarer Energien, damit die Gesellschaft trotz der allgemeinen Kenntnis der Folgen atomarer und fossiler Energienutzung es akzeptiert, dass weiter darauf gesetzt wird.

 Und deswegen bleibt es eine wesentliche Aufgabe, diesen ständigen Verunsicherungskampagnen und Denunzierungskampagnen immer wieder neu entgegenzutreten.

 „Das Festhalten an der herkömmlichen Energieversorgung ist asozial.“

 Es gibt aber in dieser Frage unverkennbare Schwächen auf der Seite der Befürworter erneuerbarer Energien. Dieses Spektrum ist wesentlich schwerer organisierbar im politischen Sinne. Denn für die vielen dezentralen Betreiber, die es hier so gibt, ist es häufig weniger klar als den Unternehmen der herkömmlichen Energiewirtschaft, wie wichtig eine politische Interessenvertretung ist.

 rio’s:

Wir haben zur Zeit eine sozialpolitische Debatte in Deutschland. Und wir haben das Problem der wachsenden Armut in vielen ärmeren Ländern. Ist Solarenergie Sozialpolitik oder stehen beide gegeneinander? Dient Solarenergie nur Besserverdienenden?

 Hermann Scheer:

Solare Energienutzung ist sogar eine Schlüssefrage der Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts. Nicht nur wegen der Umweltfolgeschäden der bisherigen Energiewirtschaft, die   a l l e   treffen,

sondern wegen der gravierenden Folgen für kommende Generationen. Sozialpolitik, die nicht an die nächste Generation denkt, ist keine. Und wie kommen wir eigentlich dazu, der nächsten Generation alle die Umweltschäden und damit verbunden Schadens-Beseitigungskosten aufzubürden, von denen wir meinen, das könnten wir uns heute nicht leisten? Was wollen wir eigentlich alles noch auf die nächste Generation abladen?

Insofern ist das Festhalten an der herkömmlichen Energieversorgung das Gegenteil von sozial, also ein asoziales Verhalten. Buchstäblich asozial.

 rio’s:

Läßt sich dann auch sagen, dass Solarenergie Friedenspolitik bedeutet?

 Hermann Scheer:

Das sowieso. Wenn man bis zum letzten Tropfen die herkömmlichen Energien ausschöpfen will, wird es immer mehr wirtschaftliche, politische und militärische Krisen um Energie geben.

 rio’s

Ich danke Ihnen und wünsche alles Gute!

 

Bücher von Hermann Scheer:

 „Sonnenstrategie. Politik ohne  Alternative“.

 „Solare Weltwirtschaft“

 „Windiger Protest“

 

Eine ausführliche Liste zeigt auch die Homepage von Hermann Scheer:

www.hermann-scheer.de