"Julian Aicher, Edmund Vogt und Klaus Sam sind übereingekommen, die Herstellung und den Vertrieb von Büchern und literarischen Produkten in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemeinsam auszuüben." So lautet der erste Satz des Gesellschaftsvertrages, mit dem der "Direktverlag Sam-Aicher-Vogt GbR" am 17.3.1985 in Leben gerufen wurde.

Die Unterzeichnung dieses Vertrages, der auf drei Seiten und in zehn Paragraphen Genaueres festlegte, war die offizielle Geburtsstunde des Direktverlages. Die Idee, einen eigenen Verlag zu gründen, war allerdings schon früher entstanden. Ich hatte 1980 Gedichte, Kurzgeschichten und eine Kurzerzählung zu einem Buchmanuskript zusammengestellt und hatte mich bei verschiedenen Verlagen erkundigt, ob Interesse an einer Veröffentlichung bestünde. Ein renommierter Verlag meldete sich, hatte aber bei der Gestaltung des Buches andere Vorstellungen als ich.

Bei der Suche nach einer geeigneten Druckerei landete ich bei der Druckwerkstatt Haslach, die auch die Leutkircher Schülerzeitung "Radieschen" druckte, bei der ich mitgearbeitet hatte. Da ich inzwischen meine erste Stelle als Erzieher angetreten hatte und zum ersten Mal ein richtiges Gehalt bekam, hatte ich im Frühjahr 1982 das Geld für den Druck zusammen. Julian Aicher gestaltete Titelbild und Zeichnungen für die einzelnen Kapitel, Jochen Haun illustrierte Gedichte mit Photos und Photomontagen. In den Herbstferien mieteten wir eine Waldhütte in der Nähe von Heilbronn und bewerkstelligten das Layout innerhalb von drei Tagen. Außer Julian halfen noch Manuel Aicher und Connie Lehn mit, das Buch zu gestalten, das drei Wochen später unter dem Titel "der flüchtige moment der hoffnung" auf den Markt kam. Nach guten Kritiken in der Schwäbischen Zeitung und der Südwestpresse und einem Interview in den Südschwäbischen Nachrichten verkaufte ich innerhalb von 15 Monaten fast alle Bücher.

Julian Aicher hatte während seines Zivildienstes in Sigmaringen Rockkonzerte veranstaltet. Er studierte inzwischen in Tübingen empirische Kulturwissenschaften und plante ein Projekt über die ober-schwäbische Rockszene. In Weingarten wurde der Drumlinverlag als Regionalverlag gegründet, dort sollte auch die oberschwäbische Rockszene ihre Heimat finden. Der Drumlinverlag hatte vor, eine Buchreihe unter dem Titel "Flugschrift" herauszubringen, der erste Band stand unter dem Motto: "Kultur am Ende?". Für diese Flugschrift schrieben Julian und ich Beiträge. Beim Lektorieren kam es zu ersten Schwierigkeiten mit dem Herausgeber Jochen Kelter, der wenig Verständnis für Julians Humor hatte.

Ein weiteres Problem war, daß wir unsere Artikel unter Zeitdruck geschrieben hatten, da das Buch aktuell sein sollte. Wir hatten unsere Termine eingehalten, das Buch erschien dennoch mit über einem Jahr Verspätung. Außerdem glaubten die Verantwortlichen des Drumlinverlags, daß für regionale Themen kein Markt vorhanden sei und gaben ihr ursprüngliches Konzept auf. Wir beschlossen daher, selbst Verleger zu werden. Julian kümmerte sich um die Finanzierung seines Rockprojektes und ich mich um die technischen Aspekte des Verlages. Wir hatten von Anfang an vor, möglichst viele Arbeiten, die mit der Herstellung eines Buches anfielen, selbst zu machen. Doch schon bald kam die Ernüchterung, denn die Grundausstattung für den Verlag (Computer, Textverarbeitung, Finanzbuchhaltung und Laserdrucker) sollten laut Kostenvoranschlag von verschiedenen Firmen zwischen 80.000 DM und 120.000 DM kosten. Zwar hatten wir mit Edmund Vogt inzwischen einen weiteren Kompagnon für unseren Verlag, aber soviel Geld konnten wir beim besten Willen nicht auftreiben.

1983 hatte ich mir einen Homecomputer Commodore 64 gekauft und mich einem Computerstammtisch angeschlossen, der sich immer freitags im "Café Museum" in Weingarten traf. Dort entstand auch die Idee, statt eines teuren PC den C 64 zu benutzen, die Software selbst zu programmieren und als Drucker eine elektrische Schreibmaschine mit Computeranschluß einzusetzen.

Für den Gedichtband "Der Ball des Lebens, die Musik die du spielst" von Edmund Vogt benutzten wir noch eine einfache Privileg, für Julians Rockbuch wurde eine teure Triumph-Adler angeschafft. Diese Schreibmaschine schuf eine Menge technischer Probleme, die aber mit viel Phantasie von Walter Büchele gelöst wurden. Guten Rat bekam ich auch von Hans Einsiedler, Werner Albert und Ralf Regenbrecht, mit deren Hilfe es mir gelang, die Software für den Verlag zu schreiben. Bis ins Jahr 2000 wurden die Rechnungen des Direktverlages mit diesem Computersystem geschrieben, lediglich die Texte werden mit einem PC erfaßt und auf Diskette an den Drucker weitergegeben. Danach wurde der C 64 in Rente verabschiedet und das Programm auf Access nachempfunden.

Noch bevor "Da läuft was" von Julian Aicher geschrieben und gedruckt wurde, kam Pascalina Daniilidou auf mich zu. Sie war soeben mit dem Abitur fertig und suchte einen Verlag für ihren Gedichtband "meine worte an dich". Innerhalb von drei Monaten wurde dieses Büchlein fertiggestellt und gedruckt.

Bei der ersten Planung von "Da läuft was - Einblicke in die Rockszenen der oberschwäbischen Provinz" war Julian von einem Umfang von 296 Seiten ausgegangen. Als das Buch im Herbst 1987 endlich fertig war, hatten wir zwar kein Blut, aber doch jede Menge Schweiß und Tränen vergossen. "Da läuft was" war uns eigentlich schon längst über den Kopf gewachsen. Die Arbeit daran wurde zum Streß pur, und das über zwei Jahre lang. Als der Umbruch, der noch an einem selbstgebauten Leuchtertisch in Rotis gemacht wurde, und der noch einmal am Nervenkostüm gezerrt hatte, endlich fertig war, fiel der ganze Druck von Julian und mir ab, wir lagen uns in den Armen und heulten Rotz und Wasser. "Da läuft was" war auf 674 Seiten angewachsen und wurde von der Fachzeitschrift "Spex" zum wunderlichsten Rockbuch aller Zeiten gekürt. Das Presseecho darauf war enorm, nicht nur regional fand Julian Beachtung. Der Schweizer Rundfunk berichtete eine halbe Stunde darüber, selbst die Süddeutsche Zeitung kam um eine Rezension nicht herum.

Im Frühjahr 1988 bekamen wir eine Einladung nach Mengen zu einer Veranstaltung zum Thema Kleinverlage, um den Direktverlag vorzustellen. Diese Veranstaltung sollte Folgen haben, denn ich wurde gefragt, ob wir auch ein Kochbuch verlegen würden. Ich lehnte ab, doch Michael Boenke ließ nicht locker und meinte, ich solle doch das Manuskript ansehen. Schon der erste Blick in das Manuskript machte deutlich, daß sein "Kochbuch für Studenten, Junggesellen, Strohwitwer und andere Dilettanten" kein gewöhnliches Kochbuch war und durchaus in unseren Verlag paßte.

Zwei Wochen später war ich dabei, das Manuskript zu tippen. Die Arbeit am Kochbuch, aber auch die Zusammenarbeit mit Michael Boenke, dessen Freundin Kathrin und der Zeichnerin Hendrike Kösel machte richtig Spaß und die Arbeit ging flott voran. Fürs Layout baute ich aus einem Tuborgkasten einen kleinen Leuchtertisch und Ende Mai war das Kochbuch druckreif. Kurz bevor ich selbst in Urlaub ging, brachte ich die druckfrischen Bögen zum Buchbinder nach Owen bei Kirchheim/Teck. Michael sollte die fertigen Bücher drei Wochen später abholen. Doch vor dem Urlaub bekam ich noch Besuch von der Computerfachzeitung "64'er". Redakteur Roland Fieger stellte den Direktverlag im Juli 88 seinen Lesern unter der Überschrift "Das Buch aus dem C 64" vor und war "überrascht, wie effektiv der C 64 hier eingesetzt wird."

Aus dem Urlaub zurück, rief ich Michael Boenke an, um mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Der teilte mir mit, daß er über die Hälfte der Bücher schon verkauft habe. Dabei war noch nicht einmal der Buchhandel beliefert worden. Mit diesem Erfolg im Rücken beschlossen wir, das Kochbuch und unseren Verlag bei der Frankfurter Buchmesse zu präsentieren. Obwohl die Meldefrist schon abgelaufen war, bekamen wir noch einen Platz. Um den Stand gut zu gestalten, ließen wir uns einiges einfallen, Julian organisierte eine E-Gitarre, Michael übertrug die Titelseite des Kochbuches auf ein großes Plakat und ich schrieb ein Computerprogramm, das permanent ablief und alle Bücher und den Verlag vorstellte, außerdem ließen wir unser erstes Verlagsprospekt drucken. Auf dem Weg nach Frankfurt hatten wir schon die neue Auflage beim Buchbinder abgeliefert, die wir auf dem Rückweg fertig abholen wollten.

Die Frankfurter Buchmesse war für uns ein Erfolg, weil es uns gelang, mit bescheiden Mitteln einen guten und auffälligen Stand zu gestalten. Die Belohnung: Ein Radiointerview des hessischen Rundfunks mit Michael, Artikel über den Verlag und das Kochbuch im Buchreport, in Essen und Trinken und in regionalen Zeitungen. Besucht wurde unser Stand von Lew Kopelew, Hajo Friedrichsen und anderen Prominenten. Nach der Buchmesse herrschte im Verlag eine euphorische Stimmung. Neue Projekte wurden in Angriff genommen, ein Comic von Michael sollte an den Erfolg des Kochbuches anknüpfen, Julian war dabei, zusammen mit Ulli Eder ein neues Rockbuch herauszubringen: "RiO - Rock in Oberschwaben". Diesmal wollte er sich auf eine kommentierte Adressensammlung beschränken. Eine Frankfurter Autorin hatte uns ihren Gedichtband zum Vertrieb überlassen. Ein Sigmaringer Arzt wollte seine "Jägercartoons für Nichtjäger" bei uns verlegen.

Doch die Realität holte uns bald wieder auf den Teppich. Das Kochbuch übertraf zwar selbst meine Erwartungen, doch hatten wir uns bei der Preisgestaltung verkalkuliert. 9,80 DM hatten wir veranschlagt und dabei völlig außer acht gelassen, daß nach Abzug von Buchhandelsrabatten und anderen Unkosten bestenfalls die Hälfte für den Verlag übrig blieb. Ein anderer, ähnlich dummer, Rechenfehler sollte uns 1991 noch einmal unterlaufen. Günter Schiel schrieb an einem Radwanderführer. Wir kalkulierten die Kosten und gingen von 80 Seiten Umfang aus. "Radwandern in Oberschwaben, am Bodensee und im Voralpenland" hatte aber in der Erstauflage 120 Seiten. Dadurch stiegen natürlich die Druckkosten deutlich an, was von uns schlichtweg vergessen wurde. Wäre nicht Günter Schiel so rücksichtsvoll gewesen und hätte auf einen Teil der ihm vertraglich zugesicherten Tantiemen verzichtet, hätten wir trotz verkaufter Auflage einen herben finanziellen Verlust erlitten. Unser Konto wurde außerdem dadurch belastet, daß sich weder der Comic von Michael Boenke, noch der Jägercartoon, noch die Lyrikbände wie erwartet verkauften.

Die ersten Bücher des Direktverlages waren Gedichtbände gewesen, sie entwickelten sich aber zu den Sorgenkindern des Verlages, denn über den Buchhandel sind sie nicht zu verkaufen. Die Lyrikbände, die in den letzten Jahren im Verlag erschienen, wurden nicht mehr vom Verlag produziert, sondern von den Autoren selbst. Der Verlag übernahm lediglich den Vertrieb von Gerda Ettis "Silberstreifen der Seele" und "Das Schiff verläßt die sinkende Ratte" von Heinzjörg König und Siege Schock. Sich an den Kosten eines Gedichtbandes zu beteiligen, ist für den Verlag nicht mehr möglich. Marion Rummel, eine Frankfurter Autorin, zog ihren Gedichtband "Gedanken zu Gedanken" aus dem Verlag zurück, nachdem dieser sich nicht so gut verkaufte, wie von ihr erhofft worden war. Sie hatte wohl geglaubt, daß der Verlag zu wenig für ihr Buch mache. Dabei war der Aufwand für Pressearbeit und Vertrieb genauso wie bei den anderen Büchern, doch wir können keinen Buchhändler zwingen, das Buch zu kaufen und auch keinen Journalisten, etwas darüber zu schreiben.

Edmund Vogt hat inzwischen mit seinem Sohn einen eigenen Verlag gegründet, der sich auf Lyrik spezialisieren will und ist deshalb aus dem Verlag ausgeschieden. Ich selbst bin äußerst skeptisch, denn das Interesse an Lyrik hat nachgelassen, Buchhändler winken in der Regel genervt ab, wenn ihnen Gedichtbände angeboten werden. Auch wird es immer schwerer, ein Publikum für Lesungen zu finden. Konnten wir 1985 noch über 100 Leute ins Kornhaus nach Ravensburg zu einer gemeinsamen Lesung von Pascalina Daniilidou, Edmund Vogt und mir locken, so fanden zehn Jahre später  nur drei Interessierte die den Weg zu einer Lyriklesung in die Buchhandlung Kappler nach Leutkirch. (Eine der Autorinnen bestand darauf, dass ihr Name hier nicht genannt wird)

Solche Misserfolge demotivieren einen als Verleger, denn die Arbeit, die ich in jedes Buch und jede Veranstaltung stecke ist enorm. Doch es gab in den Jahren als Direktverleger glücklicherweise ja auch Erfolge. "RiO - Rock in Oberschwaben" war mit 230 Seiten nicht mehr so gigantisch wie "Da läuft was", verkaufte sich aber noch besser und war nach einem Jahr restlos ausverkauft. Bei der zweiten Auflage 1989 wurden noch 12 Seiten angehängt, mit neuen Adressen und Änderungen die bekannt wurden. Für eine komplette Überarbeitung fehlte das nötige Geld. Julians Bemühungen vom Land Baden-Württemberg oder vom Kreis Ravensburg für diese wichtige Kulturarbeit Geld zu bekommen, waren leider erfolglos, sehr zum Bedauern der oberschwäbischen Rockszene, deren Vertreter immer wieder vergebens nachfragen, wann denn ein neues "RiO" herauskommt.

Für Julian waren seine Rockbücher, (es folgte mit "schnell, dreckig, lustig - Die Rockband `Bellybutton & the Knockwells´" noch ein drittes) ein Sprungbrett. Er schreibt heute als freier Journalist für die Schwäbische Zeitung. Bekannt ist vor allem seine "SZene regional", die jeden Donnerstag Rockfans über Neuigkeiten unterrichtet. "RiO" heißt auch seine Rockagentur, die regionalen Bands Auftritte in der ganzen Bundesrepublik verschafft.

Günter Schiel brachte 1991 sein "Radwandern in Oberschwaben, am Bodensee und im Voralpenland" heraus. Es entwickelte sich zum zweiten Bestseller unseres Verlages, die dritte Auflage ist gerade erschienen. 1993 wurde es komplett überarbeitet, neue Touren kamen hinzu, die alten wurden überprüft und verbessert. Gute Kritiken des Radbuches in der Schwäbischen Zeitung, im Wochenblatt, in Radio 7 und in der EVS-Kundenzeitung Strom zuhaus waren dafür mitverantwortlich.

Das "Kochbuch für Studenten, Junggesellen, Strohwitwer und andere Dilettanten" ist der absolute Bestseller des Verlages. Bis heute sind über 20.000 Exemplare verkauft, für einen Kleinverlag, der nebenbei betrieben wird ein sehr großer Erfolg. Michael Boenke und Hendrike Kösel haben dem Direktverlag inzwischen auch ein Kinderbuch beschert, "Hedwig die Flugsau". Die IWZ, die vielen Tageszeitungen beiliegt, stellte Hedwig im Januar 95 zusammen mit Kinderbüchern von Leo Leoni und Franz Hohler vor.

Die Erfolge von Rock-, Rad- und Kochbuch waren entscheidend dafür, daß der Direktverlag 1995 sein 10jähriges Bestehen feiern konnte. Weitere Jahre sind vergangen, das Verlagsjubiläum ist ebenso Geschichte, wie der von uns ausgeschriebene Literaturwettbewerb "Direkte Texte". Dieser war erfolgreich, die besten Geschichten wurden in dem gleichnamigen Buch veröffentlicht.

Der Preisträger der Jury, Chistoph Türck hat bei uns seinen Roman "Unterquerung" herausgebracht. Die bekannte (inzwischen aber verstorbene) Autorin Inge Aicher-Scholl hat bei uns ihr letztes Buch über ihre behinderte Tochter veröffentlicht. Titel: "Eva - Weil Du bei mir bist, bin ich nicht allein".

Diese beiden Bücher waren von mir noch während meines Studiums lektoriert und am PC gelayoutet worden. Da ich seit 1998 wieder voll berufstätig bin, konnte ich mich nicht mehr in dem Maße um die Buchproduktion kümmern.

Jens Mario Schlegel & Nastasia Rothweiler  vertreiben ihr Kinderbuch Appl und Birni seit 1999 bei uns, den Gedichtband "Der Traumarbeiter" von Alexander Kurfürst erschien im Jahr 2000, ebenso wie RumS - Rock ums Seeufer von Daniel Oswald.

Inzwischen hat sich der Buchmarkt gewandelt, kleine Verlage haben Probleme ihre Bücher überregional zu vermarkten. Großverlage und Buchhandelsketten dominieren die Bücherwelt. Gelang es kleineren Verlagen bis zu den 80ern noch mit neu entdeckten Autoren überraschend in die Bestsellerlisten vorzustoßen, (der kleine Maro-Verlag aus Augsburg verschaffte dem bis dahin unbekannten Charles Bukowski zum Durchbruch in Deutschland) so kann ich mich an nichts vergleichbares in den letzten zehn Jahren erinnern.